Vortrag in Murrhardt am 7. November 2002
mit anschliessender Lesung zum Ausstellungs-Projekt Jakobskampf
Liebe
Anwesende,
ich begrüße
Sie heute Abend in der Kirche St.Maria in der Umgebung von Arbeiten im thematischen
Bezug zum Jakobskampf, welcher in Genesis 32 viele anregende und aufregende
Deutungsbezüge wachrufen kann;
für mich als
schreibend tätigen Menschen erfahre ich vor Allem aus diesem Schriftwort
¾¾¾; es ist bis zum Morgengrauen das schweigende
Ringen, das eben Nicht-zum-Wort-kommen, was während des Kampfes des Jakob mit
Gott, oder dem göttlichen Boten, geschieht; erst mit dem Morgengrauen und der
Verwundung des Jakob an der Hüfte, dem Zufügen einer Wunde, die den gelenkigen,
volkmündlich täuschungsstarken "falschen" Jakob erdbeschwerter werden
lässt
¾ erhält Jakob
im Dialog seinen neuen Namen und eine Kraftspende in Form des Segens.
Aus einem
Angriff, einer Verwundung, so dem fühlenden Erkennen von Schwäche, der Reduktion auf das ursprüngliche Vermögen des
betroffenen Menschen und dem damit einhergehenden Wahrnehmen persönlichen
Mangels, kann es geschehen, dass der Lebens-Strom in Folge durchstandener Krise
in einem neu-geformten Flussbett wirkt, fließt, und gekräftigt wird;
Eine
Verletzung kann so als Leiden ein-gehen und zurückführendes Leiten auf das dem
einzelnen Menschen Wesens-gemäße verstanden werden;
Das Arbeiten
am Wort und mit dem Wort hat mich immer wieder überraschend und neu die
Erfahrung zuteil werden lassen, dass der Name, das zentrale Wort, wie es Jakob
mit der Taufe auf den Namen Israel, den Gottesstreiter, oder, stärker
ausdeutend, in der Be-deutung Gott-möge-herrschen erfahren hat, auch uns, und
jedem Einzelnen tag-täglich zuteil werden kann;
Ich wohne am
Bodensee; am Montag den 1.Juli 2002 wurde ich nachts während des Einschlafens
von einem starken Rütteln an meiner Wohnungstür aufgeschreckt, aber war nicht
mehr wach genug dieser Störung auf den Grund zu gehen;
am nächsten
Morgen waren die Straßen rings um unseren Wohnort gesperrt; in der Nacht, nur
eineinhalb Kilometer entfernt,
war eine russische Passagiermaschine mit Kindern und Jugendlichen an
Bord mit einem großräumigen Transportflugzeug über dem Bodensee
zusammengestossen und abgestürzt;
die Menschen
in unserer Gegend waren unterschiedlichst von dem Ereignis berührt und
betroffen;
Die äussere
Idylle schien durchbrochen; Zerstörung und Tod in solchem Ausmass und Anschein
bei einem ansonsten und oft so entfernten und medial abgeschwächten Verhältnis,
mit einem Mal da, am Ort;
Starke
Berührungen
¾¾ : Vor dem
Haus eines Freundes in Taisersdorf war senkrecht die Boing in den Wald
gestürzt; in der direkten Konfrontation mit dem Unglück spürte sprachlos die eigenen Anteile dieser Gewalt
in mir, da, dumpf anpochend,
¾ angezogen von
dem grausamen Geschehen, und dann wieder die Frage, wie damit umgehen, auch,
wie mit dem Wort umgehen;
an der
Unglückstelle Tage darauf Zettel mit
Texten und Gedichten, spontan geschrieben,
mit Blumen und Kerzen im Wald von Anwohnern hinterlassen;
Und dann die
Gefahr nicht mehr die menschlich
¾ konkreten Schicksale ins Herz zu nehmen, sondern Mythen
aufzubauen, Wahrsagen zu konstruieren, die als Überbauten dem Ganzen einen Sinn
drängen wollen, so
¾ der weisse Stier Europa, der am Herz getroffen wird
¾
alle zu Hauf befindlichen esoterischen Gemeinschaften,
Stadtverwaltung und Golfklub empfinden Statement-not;
und aber,
immer wieder
¾ Schweigen,
auch Verdrängen;
der Freund,
,welcher das Flugzeug vor sich abstürzen, und mit drohendem Brummen zu-kommen
sah, vertraute mir an, dass er im tiefen Schmerz und Dankbarkeit, die er tags
darauf empfand
¾¾ für ihn der
Auftrag sich offenbarte ganz dem Einen, ganz dem Glauben und ganz dem Dank und
seiner möglichen Hingabe zu leben
¾ ;
Jedes äussere
Geschehen kann persönlich, direkt und stark ansprechend zum inneren Ringen,
auch Er-leiden führen, gelingt es mir, mich zu öffnen, mich offen zu halten;
¾ und werde
geführt, dass im Lauschen, im Hören ich wahrzunehmen beginne, wo meine
Geschichte endet und die Betroffenheit des Anderen seinen Ausgang nimmt.
So verstehe
ich das Durchleiden des Jakob an der Furt als ein schmerzhaftes Erkennen der
Grenzen; ihm aber mit seinem neuen Namen und der mit dem Segen übermitttelten
Kraft erneute Ausrichtung seines Lebens zuteil wird.
Der
Jakobskampf, den Jakobskampf führen wir nicht nur an den großen Wendepunkten,
sondern immer wieder, im gründlichen Durchtragen, Erringen unseres Alltages
kann es geschehen, dass ein neuer Name, dass ein erneuertes Wort uns
einleuchtet, unsere verstellenden Vorstellung gewendet werden
¾¾ nicht immer
mit großer äusserer Sensation, aber oft tief und der Schimäre der äusseren
Gleichförmigkeit stark widersprechend uns aufs Neue formt und auffordert,
anders weiterzugehen.
Ich will Ihnen
nun aus meinen Arbeiten einige Texte aus dem Alltag, aus Augenblicken, die
meinen Blick neu berührten und ver-fügten vortragen
¾.
Michael Stoll,
1.November 2002