24. April 2003 in Ditzingen, Gespräch mit Sara Schemann
Der
Weg zu dem Gespräch mit der Tänzerin Sara Schemann ¾ vom Bodensee auf die Autobahn
Richtung Stuttgart und dort im Nordwesten Abfahrt nach Ditzingen; es ist ein
heller Tag, mittags um 14.00 Uhr bin ich mit Sara in ihrer Wohnung zu unserem Gespräch verabredet. Gebäck und
Tee sind sorgfältig angerichtet ¾ der erste außertelephonische
Kontakt ist sogleich offen und herzlich. Das Aufbauen und die Überprüfung der
Aufnahmetechnik löst Heiterkeit aus ¾ eine gute Stimmung für unser
eigentliches Gespräch ist da.
Michael
Stoll: Sara, was war für Dich ein, oder — das
entscheidende Erlebnis in deinem bisherigen Leben?
Sara
Schemann: Ganz so einfach kann ich nicht sagen, dass es ein
entscheidendes Erlebnis gegeben hätte; es gab eigentlich viele schöne, tiefe
Erlebnisse, aber ich kann vielleicht sagen, dass eine Begebenheit für meinen
Weg, oder für die Veränderung meines Weges, sehr wichtig war:
Es war eine Erfahrung in der Zeit, in der
meine Mutter schon schwerkrank war und ich meinen Bruder, der in einem
Altenheim öfters auf einem Flügel geübt hatte, dort abholen wollte. Ich stand
draußen an einem Fenster, war innerlich sehr versunken und habe so den Horizont
angeschaut, habe innerlich gebetet; Plötzlich nehme ich in mir eine sanfte
Stimme war, die sagt; „Gib deinen Beruf auf!“
Ich habe es zuerst überhaupt nicht einordnen
können, weil der Tanz für mich etwas so Wichtiges war und ich so viel dafür
aufgegeben hatte; das Wort blieb aber,
kam noch einmal, und in dem Augenblick, in dem ich innerlich sagen konnte: Ich
werde es tun, weil ich glaube, dass Du es bist!
— habe ich in mir so eine Leichtigkeit gespürt und so ein Licht, wie
wenn das Licht durch meinen ganzen Körper fluten und ich gar nicht mehr richtig
auf dem Boden stehen würde, sodass ich zuinnerst gewusst habe, es ist Wahrheit,
es hat mit Wahrheit zu tun, was da gerade geschieht.
Und ich habe
erst einmal mit niemanden darüber sprechen können, habe aber gewusst, diese
Erfahrung hat damit zu tun, dass ich den Tanz anders leben sollte, als ich ihn
bis dahin gelebt hatte. Ich hatte schon immer in der Ausbildung gespürt, dass
ich mich in diesem Umfeld, in der Ballettwelt, eigentlich nicht heimisch
fühlte; es war bis dahin ein Weg gewesen, den ich gehen musste, um den Tanz zu
erlernen, um diese Sprache zu lernen, und daran zu arbeiten, aber es war nicht
mein R a u m , indem ich den Tanz wirklich bis ins Tiefste hinein entfalten
konnte. Und ich habe ab da auch gespürt, wie sehr der Drang in mir wuchs kreativ
zu werden, zu improvisieren, Choreografien zu gestalten. Ich fing an, alleine
immer wieder in Räume zu gehen, wo ich tanzen konnte, um innerlich tanzend zu
beten, häufig mit geschlossenen Augen,
und ich spürte, dass ein ganz neuer Bezug zum Tanz entstand und durch den Tanz
zu meinem Gott.
Michael Stoll: Der Tanz, als der Tanz aus der Mitte heraus; aus was für einer Haltung kann er entstehen?
Sara Schemann: Ich denke es gibt verschiedene innere Verfassungen aus denen heraus inniger Tanz entstehen kann. Für mich gibt es eine sehr wichtige oder zentrale Verfassung, die ich liebe, anstrebe, genieße — wenn ich es so sagen darf — es ist die Verfassung der Anbetung; und ich denke, dass aus dieser Verfassung heraus ein Tanz entsteht, der sehr stark in Beziehung ist, der einen Vollzug der Hingabe entstehen lässt, der sich eben auf das Höchste, oder den Höchsten hin ausrichtet, und ich erlebe diese Art von Tanz immer auch als eine sehr reinigende Bewegung oder ein sehr reinigendes Geschehen;
Es ist für mich ein Tanz, in dem ich sehr im Horchen bin,
im Hören darauf, was im Augenblick entsteht, mit welcher Bewegung ich in
Beziehung komme, und gleichzeitig ganz bei mir bin; und es ist für mich ein
Tanz, der Dankbarkeit entstehen lässt und auch Dankbarkeit ausdrücken kann.
Aber ich denke, es gibt alle mögliche Verfassungen, die man
als Mensch in seiner Ganzheitlichkeit wirklich annehmen und im Tanz ausdrücken
kann. Mir ist es wichtig, meinen Schülern und Schülerinnen immer wieder zu
sagen, dass, wenn sie einen Tag haben, an welchem sie eher eine Traurigkeit
oder Aggression in sich spüren, sie dies in ihren Tanz integrieren und mit
hinaustanzen können.
Michael Stoll: Wie stark prägend ist der äußere Raum für deinen Tanz?
Sara Schemann: Es gibt Tage, an denen ich den Raum um mich herum vergesse;
zum Beispiel, wenn ich in dem Raum, in welchem ich normalerweise übe,
improvisiere. Manchmal schließe ich dabei sogar die Augen.
Und wenn ich meine Stücke probe, bin ich bei mir und der
Choreographie mit ihren Bewegungen und ihrem Inhalt.
Sobald ich aber durch den Tanz in Dialog trete mit
Menschen, die auch in dem Raum sind, muss ich ihn integrieren. Da ist es
wichtig, dass ich ganz in Fühlung bin mit Allem was in dem Raum da ist, und
dass ich zum Teil Beziehungsströme entstehen lasse.
Ein ganz wichtiger Beziehungsstrom eröffnet für mich der
Altar. Es ist mir wichtig, dass sich durch den Tanz sozusagen ein
Beziehungsstrom zwischen dem Altar und den Menschen ereignet. Für mich ist es
überhaupt wichtig, in diesem Dreieck zu stehen — Gott, Ich als Tanzende, und
die Menschen, die da sind; In diesem
Dreieck versuche ich, die Menschen die Bedeutung des Raumes, der immer auch die
Gegenwart Gottes ausdrückt, durch den Tanz tiefer erfahren zu lassen.
Michael Stoll: Zur Qualität des
Gemeinsamen im Raum —; Ist auf dieser
Ebene auch ein Stück weit eine Ahnung des Gemeinsamen zu bekommen?
Sara Schemann: Das ist ganz wichtig, diese Erfahrung des Gemeinsamen: Die
Beziehung zueinander, die da innerlich entstehen will und auch durch die
Symbolhaftigkeit, welche vor allem im Sakralraum der Kirche da ist, entstehen
zu lassen. Es gibt Räume, wo ein Tabernakel ganz nah an der Tanzfläche ist, so,
dass er sozusagen zum Raum, in welchem getanzt wird, dazugehört. Dann gibt es wieder
Tanzflächen, wo ich ihn nicht so stark integrieren kann. Doch immer spricht er
im Raum eine Botschaft für uns aus, das Dasein der Liebe unter uns allen. Auch
was unter uns während des Tanzens im Schauen und Miterleben geschieht,
verbindet uns.
Michael Stoll: Also Du gibst, Du schenkst diesem Raum Bedeutungsorte und
Bereiche, wo Du die Kraft fließen lässt?
Sara Schemann: Ja, aber nicht unbedingt alles, damit es nicht zu viel
wird. Jeder Raum prägt den Tanz; auch die Größe der Tanzfläche verändert zum
Beispiel einen Tanz sehr. Auf einer kleineren Tanzfläche muss ich
konzentrierter arbeiten, bestimmte Bewegungen weglassen, eventuell dann andere
einbauen. Wenn der Raum weiter ist, wird die Bewegung fließender und ich kann
eventuell eher andere Dinge miteinbeziehen, die zu Bedeutungsorten werden. Dann
gibt es zum Beispiel Tanzflächen, auf denen ich mich um den Altar bewege und
andere, auf denen ich nur auf den Altar hin und wieder auf die Menschen zu
tanze. So wird auch der "Bedeutungsort" Altar jeweils auf
verschiedene Art und Weise miteinbezogen.
Michael Stoll: Was für eine Bedeutung hat für Dich innerhalb des Tanzes
der Altar? Ist er für Dich Mittelpunkt des Tanzraumes?
Sara Schemann: Er ist für mich der Ort des Raumes, der ausdrückt, dass das
Göttliche, Gott, unter uns ist und es ist dieser Punkt auf den hin sowohl ich
Mich, als auch die anwesenden Menschen sich ausrichten; ich stehe zwischen den
Menschen und diesem — als Medium, als tanzend Sprechende. Dennoch stehe ich
genauso unter ihm, im Dienste dieses Bereichs.
Michael Stoll: Also ist das in gewisser Weise auch eine priesterliche
Funktion?
Sara
Schemann: Ich sehe es so. Und manchmal war ich schon froh darum, dass
in dieser Form das Priestertum der Frau nicht verboten ist.
Michael Stoll: Was für eine Rolle spielt die Musik bei deiner Bewegung?
Sara Schemann: Auf der einen Seite hat die Musik etwas sehr Prägendes und
Tragendes; ich versuche sehr durchlässig für die Musik zu sein, für jede
Interpretation offen zu sein. Wenn ich mit Musikern aktuell zusammenarbeite,
wird der Tanz sehr schnell anders, weil der Musiker z.B. ein Stück anders interpretiert, als ich es in der Form
einer Aufnahme kenne. Auf der anderen Seite ist es mir wichtig, auch mal die
Freiheit zu haben — nicht unbedingt in jeder Choreografie und auch nicht in
jedem Stück — mit der Musik in Dialog zu treten und zu sagen: jetzt tanze ich
nicht exakt die Musik, sondern tanze quasi kontrapunktisch zur Musik.
Michael Stoll: Und wie unterscheidet sich für Dich die Arbeit zwischen
kompositorisch gesetzter Musik und der freien musikalischen Improvisation?
Das Dialogprinzip gestaltet sich dann doch ganz anderes?
Sara Schemann: Es gibt für mich als Tänzerin zwei Möglichkeiten der
Improvisation; entweder der Musiker spielt ein bekanntes Stück und Ich
improvisiere darauf oder Beide improvisieren, was eine ungleich höhere Spannung
bedeutet.
Michael Stoll: Wieso Spannung?
Sara Schemann: Man muss völlig sensibel und losgelassen sein, um sehr
schnell auf das Neue zu reagieren, ohne es im Voraus zu kennen. Für mich ist es
da sehr wichtig, mich innerlich in den Musiker einzufühlen und mit ihm in einer
so starken Beziehung zu sein, dass ich eigentlich fühle, was er spielen möchte.
Aus dem inneren Hören heraus müssen wir so tanzen und
spielen.
Michael Stoll: Welches sind die weiteren Ziele für deine Arbeit?
Sara Schemann: Mein grundsätzliches Ziel ist es eigentlich, immer mehr
offen zu werden für das, was im Tanz wirkt; auch für die Menschen, die da sind,
sei es in einem Seminar, sei es bei einem Auftritt. Einfach zu sagen: Es
geschieht ~ Und damit das Wesentliche
geschehen kann, diesem Wesentlichem auch
immer mehr Raum zu geben und die Form zu finden, die in der jeweiligen
Tätigkeit den Kanal für das Wesentliche öffnet.
Michael Stoll: Vielen Dank, Sara, für dieses Gespräch.
Vom
Tanz der Seelen zu Gott
von Michael Stoll
I.
Du nimmst Alles auf Dich
In welcher Zeit,
welcher Gestimmtheit
Du da bist ¾ wirst;
Welche Entscheidungen
warten?
Um den Kern deiner Blüte legt sich
Fundament um Fundament, Schwingung
an Schwingung, Fessel an Fessel, Erde und Stein und Wasser
und, im Meer ...
Wann und wo
spalten sich die Ströme der
Entschiedenheit,
wird der Schicksal Welle
Rückschlag ¾ Du, Betrachter,
beladener Betrachter
deiner Fügungen?
Das Gehen wird, der Weg wird; ¾
köstlich schlägt Drang nach Raum, Höhe und Wonne.
Dein Empfangen scheint in all-der
Blindheit
unersättlich, ohne Maß und Ende und
Grenze,
bis zum Blitzschlag ¾
Wende.
II.
Du kommst zur Frage
Innehalten,
innegehalten vom Strom
der Bewegtheit, der Dich nimmt:
Wahrnahme der Vereinzelung,
Erkenntnis des Mangels
unerfüllter Gebundenheit.
Wüste, leer, ohne Antwort,
auch ohne Beschränkung;
Ziellos verbunden und trudelnd
im Gemach des Zwischenraumes ¾
¾ das Verbrennen setzt an, das
endlos
im Tor der Fragen weiterbrennt,
bis All-der-Antwort-Zusammenhang,
seiner Strenge
zum Bogen wird;
doch weit der
Weg...
III.
Du entkleidest Dich
Der Traum von der Nacktheit gewinnt
Kontur.
Faser um Faser erkennst Du sein
Leuchten
und inneres Glühen;
Bis zum Fall des Samens
und seiner Auferstehung im Geäst,
von der Öffnung des Tropfens im
Morgenlicht;
Wie fruchtbar sein Geschenk!
Das Spiel der Spiele; ¾ du gewährst ihm Raum
und stetig mehr weht dich
der Klang des Raumes - Zwischen an,
stets innezuhalten,
dem Moloch zu erwehren,
die Grenze zu sehen,
und zu erweiten.
IV. Du
entwirfst neu
Du darfst, es geschieht,
in der Ungebundenheit gerät die
Bewegtheit
und dein Ergreifen wird kühn;
Selekt um Selekt, Entwurf um
Entwurf;
so entsteht das Maß,
und in der Zerstörung
die Bitterkeit um deine Anmaßung;
das schafft Dich stolz
und voll-der-Demut.
Jetzt erschauderst Du,
vor all der Schönheit,
bis in den Tod
zur großen Frage.
V. Du
beginnst zu tanzen
Rose von Jericho,
Straussball in der Wüste,
verlorener Sohn und Bruch der
Paläste;
Deine Bewegung ist frei,
¾ zur Freie des Erschauderns;
All-das-zum-Geschenk,
gelassen,
und wieder-um-wieder
Dir und Mir gegeben ist;
In Öffnung der Grenzen
da wird dein Raumgriff,
dein beschwingter Schritt
zur Geste Heilung,
weit um weit:
Du überzeugst nicht,
lebst als Mensch,
Du,
Mensch.
VI.
Alles löst sich
Und so erwartest
den nächsten Schritt,
weiter-zu-tanzen in Geduld,
was im Rätselwerk des Schöpfers
dir im Lauschen zuteil wurde;
zu hören, zu erhören;
Und schau Nur!
Ringsum und über-all-her
tönt es Dir entgegen,
sind Resonanzen spürbar,
ein Konzert der Stimmen,
die es mit Dir wissen
und Dich weisen:
Das Band der Geschwisterschaft
nie und nimmer
zu verlassen und
verlassen
zu sein.
VII.
Und der Raum öffnet sich...
So ¾¾
jetzt ist es ruhig und gut;
Du empfängst ¾
bist Empfangender, nicht mehr.
Das Geschenk der Geklärtheit
in deinem Blick
und langsam, langsam im Erspüren
deiner Glieder,
der Grenze deiner Haut ¾ Schmerz,
ist.
Gewiesener im Sosein
mitzuteilen,
das Eröffnen
des Weiteren.
Rose von Jericho
Rose der Wüste...
Verborgenes Leben
in einem trockenen Büschel
Maria,
Du, Mensch wie wir,
stehend im unsichtbaren licht ¾
ungesehen
Empfangend Verschenkende ¾
Unverstanden
Du überzeugst nicht ...
Mit großen Worten, mit großen Taten.
Bist schweigend in dein Sein verhüllt ...
In Dir verborgen das Geheimnis,
das göttliche ¾
Du Liebende,
Du so häufig Verkannte,
Du erst im Himmel Gekrönte.
Zu Dir kommen deine Kinder,
zum fruchtbaren Schoß ihrer geistigen Mutter ¾
Neues, unsichtbares LEBEN !
Du überzeugst nicht, durch Dich wird gezeugt ...
(Sara Schemann)